Everest Trekking 2016 mit Lobuche Peak 6119m

Everest Trekking 2014 mit Lobuche Peak 6119m


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(Ver-) Zweifeln an der Ama Dablam 6856m

Nein, es besteht kein Zweifel: Die Ama Dablam ("Mutter der Halskette") gehört zusammen mit ihrem Nebengipfel Puma Dablam ("Tochter der Halskette") zu den formschönsten Bergen dieser Erde. Wandert man von Namche Bazar taleinwärts, stiehlt sie sogar dem rund zweitausend Meter höheren Massiv von Everest, Nuptse und Lhotse die Schau.

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Ich habe mich nie ernsthaft mit einer Besteigung der Ama Dablam befasst, bis zu jenem Tag, als mir meine Frau den 6856m hohen Berg zu meinem sechzigsten Geburtstag schenkte. Das war vor drei Jahren. Die Besteigung sollte anschliessend an ein Trekking zusammen mit meinem nepalischen Bergführerfreund Tendi stattfinden. Es wurde dann nichts mit der Ama Dablam. Kurz bevor wir ins Basislager aufbrechen wollten, verunglückte ein Sherpa Guide durch einen Eisschlag oberhalb von Camp 3 tödlich und am Berg lief in den kommenden zehn Tagen nichts mehr. 

Anstatt die Ama Dablam zu besteigen wanderten wir auf der alten Trekkingroute von Lukla nach Shivalaja, übrigens ein sehr schönes und interessantes Trekking.

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Für den Spätherbst 2016 plante ich ein weiteres Trekking im Everestgebiet. Wenige Wochen vor Beginn der Reise erhielt ich von Tendi eine Einladung, mit seiner neu gegründeten Firma anschliessend an unser Trekking noch die Ama Dablam zu besteigen. Dieses Angebot durfte ich nicht ablehnen. Schnell wurden die Rückflüge um eine Woche verschoben und das Gepäck um einige Ausrüstungsgegenstände ergänzt. Irgendwo fand ich auch noch einen Jümar, den ich seit Jahren nicht mehr gebraucht hatte!


Alles verläuft wie geplant: Ein wunderbares Trekking von Lukla über Thame, die Besteigung des 5368m hohen Sunder Peak mit leichter Kletterei, die Überquerung der beiden hohen Pässe Renjo La und Cho La und als Krönung des Trekkings die Besteigung des Lobuche East im alpinen Stil.

Voller Zuversicht und bestens akklimatisiert brechen wir zum Ama Dablam Basecamp auf. Wir, das sind Nima Tashi und Gombu, welche selber noch nie auf der Ama Dablam standen, meine Tochter, ihr Freund und ich. Letzten Sommer begleitete mich Nima Tashi einen Monat lang in den Alpen auf Bergtouren. Jetzt wollte er sich dafür bedanken und mich auf die Ama Dablam führen.

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Wir trauen unseren Augen nicht: Weit über hundert meist gelbe und orange Zelte, grosse Küchen- und Esszelte und zwei halbkugelförmige Gebilde, sogenannte Dom-Zelte. Ich bin platt, so etwas hätte ich hier nie erwartet. Herzlich werden wir vom Küchenteam begrüsst und gleich in eine der geheizten Halbkugeln gebracht und dort mit einem ersten "Lunch" verwöhnt. Ein veritabler Viergänger wird serviert, auch Softdrinks, Bier und sogar Wein stehen bereit. Wir trinken aber den bewährten Gingertee. Die andern Getränke müssen bis nach der Ama Dablam warten. Ich spüre erste leise Zweifel, ob ich da am richtigen Ort bin. Aber warum gutes Essen und warme Zelte verschmähen, wenn es schon vorhanden ist?

Unser "Summitday" wird um einen Tag verschoben. Trotz Saisonausklang hat es noch viele Leute am Berg und die Zelte im Lager 1 und Lager 2 sind besetzt. So geniessen wir einen zusätzlichen "Restday", pflegen unsere Körper und lesen. Da landet ein Helikopter beim Basecamp, auch das heute im Everestgebiet nichts Ungewöhnliches mehr. Es vergeht kaum eine Stunde, ohne dass man nicht einen Helikopter am Himmel sieht.

Aber was soll denn das? Sind es wirklich Fallschirmspringer, welche im Heli Platz nehmen. Der Heli startet und schraubt sich in grossen Schlaufen bis auf eine Höhe von sechstausend Metern. Zwei schwarze Punkte fallen aus dem Hubschrauber und kurz darauf öffnen sich die Fallschirme!

Ein Schirm trägt die Farben jenes Landes, in welchem heute gerade ein neuer Präsident gewählt wird, angeblich der mächtigste Mann der Welt. Das passt, denke ich mir und zweifle nicht: Ich sitze hier im falschen Film, denn das ganze Spektakel dauert den ganzen Tag. 

Mir bleibt nur die schwache Hoffnung, dass die einfachen Leute in Nepal auch etwas von dem Geld profitieren, welches für diese Art Tourismus ausgegeben wird.

Jetzt geht es endlich los, nicht ohne aber vorher noch von Buddha den Segen erhalten zu haben!

Wir starten Richtung Lager 1. Zwar steht dort für uns ein Zelt bereit, aber alles andere nötige Material und die Bergsteigerausrüstung tragen wir selber. Das geht für mich in Ordnung und die Freude am bevorstehenden Abenteuer wächst.

Die Nacht auf über 5700m überstehen wir gut und können die Etappe zum Lager 2 mit vollen Kräften anpacken. Wir ziehen den Klettergurt mit dem Jümar und einer zusätzlichen Sicherungsschlinge an, Steigeisen braucht es noch nicht. Die Verhältnisse sind sehr gut und auch das schöne Wetter ist stabil. Alles läuft wie am Schnürchen und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: Fixe Seile führen uns lückenlos von Lager 1 zum Lager 2, auch dort, wo ein durchschnittlicher Bergsteiger ohne diese Hilfe zurecht kommen sollte. Mir passt das nicht so ganz, aber vielleicht ist es besser so, denn dann nehmen alle den gleichen Weg, versteigen sich nicht und gefährden womöglich nicht noch andere Leute. Ich versuche, mich möglichst nicht am Seil hochzuziehen und klettere einige schöne Stellen. 

Dann plötzlich stockt unser flüssiger Aufstieg. Wir stehen vor dem Yellow Tower, der Schlüsselstelle zwischen Lager 1 und Lager 2. Wir stehen aber nicht alleine da. Über ein halbes Dutzend schwer bepackte Bergsteiger sind am Warten und schauen zu, wie zuerst ein Rucksack und dann ein Mensch über die knapp zwanzig Meter hohe Felsstufe gezogen werden. Und so geht es über eine Stunde lang munter weiter, bis wir an der Reihe sind! Die meisten brauchen gegen fünfzehn Minuten für die Überwindung der Wand, etwas Geübtere schaffen es in zehn Minuten und dies nicht nur an einem Fixseil, sondern auch noch mit einem zusätzlichen Sicherungsseil, welches von einem Sherpa Guide geduldig immer wieder herunter gelassen wird. Und die alle wollen die Ama Dablam besteigen, geht es mir kurz durch den Kopf, bevor ich an der Reihe bin. Ich versuche trotz schwerem Rucksack und einer Höhe von knapp 6000 Metern den Yellow Tower zu klettern. Fünf Meter unter dem Austieg geht mir aber die Puste aus, ich benütze den Jümar und habe auch nichts dagegen, als mir der Sherpa Guide über die letzten zwei Meter hilft.

Für einmal gibt es nicht Selbstgekochtes, sondern "Highfood" aus dem Beutel und dazu je nach Wunsch Tee oder Kaffee. Es ist gerade 19 Uhr und nur dank des Mondes nicht stockdunkel, als wir uns für die kurze Nacht einrichten. Frühstück um Mitternacht, Aufbruch um ein Uhr. Das ist unser Plan. Gerade in diesem Moment gehen mehrere Bergsteiger an unserem Zelt vorbei, an welchem auch das Fixseil entlang führt. Tatsächlich: Die ersten brechen zum Gipfel auf!


Mit Schlafen ist es nicht weit her auf dieser Höhe, aber wenigstens klagt niemand von uns über Kopfschmerzen oder andere Höhenprobleme, doch reissen uns im

Stundentakt immer wieder abmarschierende Bergsteiger aus dem Halbschlaf. Als wir um Mitternacht unsere Startvorbereitungen treffen, ist es ruhig im Lager 2 und ich blicke zuversichtlich Richtung Gipfel. Bis wir los klettern, werden die Frühstarter schon weit oben sein...


Kurz vor ein Uhr hängen wir den Jümar ins erste Fixseil und steigen langsam aber stetig auf. Mir kommt diese Art Bergsteigen etwas komisch vor. Einfach einem Seil folgen, anstatt den Weg selber suchen, fast einwenig langweilig!

Vom Yellow Tower erreichen wir über einen kurzen und einfachen Grat das legendäre Lager 2. Wie Storchennester kommen mir die paar Zelte auf dem Grat vor und alle sind belegt! Unsere beiden Nepali hofften, bei Kollegen unter zukommen, doch daraus wird nichts und wir sind zu viert im Zelt. Da wir alle eher kleinerer Statur sind, geht das problemlos.

Das kann doch nicht sein! Noch keine Stunde unterwegs und schon laufen wir auf die lange vor uns gestarteten Seilschaften beziehungsweise Einzelbergsteiger auf. Unser gemächliches Tempo wird noch gemächlicher und gerät arg ins Stocken. Immer wieder minutenlanges Warten, wenn die vor uns Kletternden kleine Steilstufen nur mit grösster Mühe überwinden oder eine halbe Ewigkeit brauchen, um den Jümar von einem Seil ins nächste zu hängen. Ich nütze eine dieser Pausen, um einen Schluck warmen Tee zu nehmen und auf die Uhr zu schauen. Was? Vier Stunden unterwegs und gerade mal zweihundert Höhenmeter geschafft! Das gäbe ja sechzehn Stunden nur für den Aufstieg, wenn das so weiter geht!

Wir nähern uns dem Lager 3. Weitere Bergsteiger, die nach uns gestartet sind, haben zu uns aufgeschlossen. Das Fixseil liegt in einer steilen Rinne. Plötzlich realisiere ich, dass vor und hinter mir je mindestens vier Kletterer am gleichen Seil hängen wie ich. Von unten spüre ich ein rhythmisches Rupfen am Seil. Es kommt  leichte Panik in mir auf. Ich ziehe das Fixseil mit aller Kraft nach oben, um die Verankerung zu entlasten. Vermutlich ein lächerliches Unterfangen, aber in jenem Moment das Einzige, was ich tun kann. Ich fühle mich verschiedensten Gefahren hilflos ausgeliefert. Es prasseln auch immer wieder kleinere und grössere Eisstücke auf uns nieder. Was mache ich eigentlich hier an einem Berg, welcher auf über elfhundert Höhenmetern lückenlos mit Fixseilen versehen ist und trotzdem die Mehrheit der "Bergsteiger" weder technisch noch konditionell den Anforderungen genügt?

Ich will hier raus! Ich will einen Berg - und wenn es die Ama Dablam ist - so nicht besteigen. Das hat nichts mit dem Bergsteigen zu tun, das ich so gerne betreibe. 

Es ist eine weitere Stunde vergangen. Wieder haben wir nur fünfzig Höhenmeter geschafft. Ich schliesse zu meiner Tochter auf. Auch ihr gefällt das Ganze nicht und sie hat sich eine Umkehrzeit vorgenommen, 10 Uhr. 

Mir gefiel das gar nicht mehr, umso mehr als wir dann an der warmen Sonne und im weichen Schnee hätten absteigen müssen, mehrheitlich umgeben von Leuten, welche an oder schon über ihrem Limit waren.


Ich will meine bewährten Prinzipien, welche ich seit über 40 Jahren in den Alpen einhalte, doch nicht ausgerechnet im Himalaja über den Haufen werfen. So beschliessen wir, die Tour abzubrechen und abzusteigen.

Einerseits schade, aber andererseits entspricht das Klettern an einem Fixseil in keiner Weise meiner Vorstellung von Bergsteigen.

Seillänge um Seillänge seilen wir ab. Die Sonne wärmt uns und es herrscht eine friedliche Ruhe. Am frühen Vormittag sind wir zurück im Lager 2, packen unsere Sachen zusammen und steigen weiter Richtung Lager 1 ab.

Um 16 Uhr erreichen wir müde und natürlich nicht ganz glücklich, aber froh dass alles gut gegangen ist, das Basislager und wärmen uns an den letzten Sonnenstrahlen.


Da taucht das Gerücht auf, dass ein am Kopf verletzter Bergsteiger bei Lager 3 sei und dort gerettet werden sollte. Da kommt auch schon ein Helikopter und macht einen Rekoflug. Zu viel Wind und die bald einbrechende Dunkelheit verhindern eine sofortige Rettung.


Am nächsten Morgen früh erscheint der Heli wieder. „Heli Linth“ steht an seinem Bauch und ein Flughelfer trägt eine Jacke mit dem Matterhorn auf dem Rücken.


Ein zirka 25 Meter langes Seil wird unten am Heli befestigt und ab geht es auf rund 6300m. Immer wieder versucht der Heli den Verletzten aufzunehmen. Beim sechsten Versuch gelingt es.

Der Patient wird direkt ins Basislager gebracht. Von einer Kopfverletzung ist nichts zu sehen. Später vernehmen wir, dass er an Höhenkrankheit litt. Der Heli wird für einen zweiten Flug vorbereitet.

Und tatsächlich wird ein zweiter Patient gebracht. Er scheint am Bein verletzt und wird in eines der geheizten Zelte gebracht.

Einige Tage später - unterdessen sind wir bereits wieder in Lukla - landet ein Heli, welcher ebenfalls an der Ama Dablam Bergsteiger retten musste.


Die Ama Dablam, etwa auch „Matterhorn des Himalaja“ genannt, steht offenbar nicht nur punkto Aussehen, sondern auch punkto Rettungsaktivitäten „unserem“ Matterhorn in keiner Weise nach.